Chorkonzert begeisterte mit musikalischem Friedenswunsch

Langes Stillschweigen und große Ergriffenheit bei allen Zuhörern waren die ersten Reaktionen auf ein ganz außergewöhnliches Konzert am Sonntag in der Abteikirche. Erst dann löste sich die Spannung in einem minutenlangen Beifall auf, der den Interpreten des Konzertes galt. Die Chöre der Stiftung Kirchenmusik, d. h. der Projektchor des Kirchenkreises Arnsberg, der Oratorienchor Arnsberg, der Südwestfälische Kammerchor und der Kinder- und Jugendchor VokalTotal Arnsberg, hatten eine Chorgemeinschaft gebildet und führten unter der Leitung von KMD Gerd Weimar die g-moll-Messe von Ralph Vaughan Williams und den 130. Psalm („De profundis“) von Marcel Dupré auf. Als Bindeglied zwischen den beiden großen Chorwerken erklang der Choral E-dur für Orgel von César Franck.

Diese Veranstaltung des Kulturrings war geprägt von dem weiten Horizont des Chorleiters, der mit Komponisten aus England und Frankreich den Reichtum europäischer Kirchenmusik des frühen 20. Jahrhunderts erfahrbar machte. Die Messe von Vaughan Williams wurde a cappella aufgeführt. Ohne eine stützende Begleitung durch die Orgel entfaltete der Chor aus einer sehr leise intonierten melodischen Linie im Kyrie ein komplexes Geflecht von Imitationen und Klangwellen in doppelchöriger Anlage, das durch ein Solistenquartett ergänzt wurde und beim „Dona nobis pacem“ in die dreichörige Bitte um Frieden mündete. Besonders reizvoll war die räumlich getrennte Aufstellung der Chöre nach historischem Vorbild, weil die Ergänzung von links und rechts, das Überlappen der Einsätze und die wellenartige Steigerung durch das Erreichen neuer Tonarten und Tonhöhen einen Spannungsbogen schuf, der den Messtext zum Leben erweckte. Die sehr differenzierte Dynamik und die sehr gute Textartikulation erleichterten den Zuhörern das Verständnis. Die vier Solisten fanden schnell zu einem homogenen Klang, weil sie sehr leicht und schlicht ihre Stimme führten und einen schönen Kontrast zum großen Chor bildeten. Die überleitenden Texte von Pfarrerin Christina Bergmann verliehen der ganzen Messe eine sehr eindrucksvolle theologische Dimension.

Auf der neuen Klais-Orgel der Klosterkirche fand Annette Arnsmeier, Kirchenmusikerin an der Petrikirche in Soest, viele Möglichkeiten der Klangentfaltung für den Choral E-dur von César Franck. Die sonoren Grundstimmen einer Cavaillé-Coll-Orgel mochte man vielleicht vermissen, aber der schlankere Orgelklang ermöglichte eine sehr gute Transparenz, die, gepaart mit der genauen Artikulation der Interpretin, den Zuhörern das Verfolgen musikalischer Strukturen und Harmonien leicht machte. Die dynamischen Abstufungen und Schattierungen machten das Werk auch emotional zu einem Erlebnis.

Höhepunkt des Konzertes war ohne Zweifel die Vertonung des 130. Psalms vom genialen französischen Organisten und Komponisten Marcel Dupré. War die Messe von Vaughan Williams noch rückwärtsgewandt in Struktur und Harmonik, erlebten die Zuhörer mit dem „De Profundis“ ein Werk, das bis an die Grenzen der Tonalität ging, um dem Aufschrei des Schreckens des 1. Weltkrieges musikalische Gestalt zu geben. Gerd Weimar hatte den großen Laien-Chor hervorragend vorbereitet, sodass von den Schwierigkeiten der Chorpartitur nichts zu hören war. Die große Expressivität des zunächst leisen, dann immer lauter werdenden Rufens aus der Tiefe, wörtlich genommen mit der Figur des Oktavsprungs, und der Fortführung durch die rhythmisierte Abwärtsbewegung bei der Anrede Gottes („Domine“) wurden bis zum Verklingen im Pianissimo vom Chor sehr spannungsvoll und stilsicher gestaltet. Der Wechsel in der Besetzung zwischen Chor und Solisten brachte neue Klangfarben und Ausdrucksmöglichkeiten ins Spiel. Cosima Henseler, Sopran, Ulrich Cordes, Tenor, und Johannes Wedeking, Bass, meisterten die recht dissonanten Passagen sehr souverän. Ihre Stimmen klangen unangestrengt und intonationssicher. Die Schlichtheit der Gestaltung entsprach dem Gestus des biblischen Textes und dessen musikalischer Realisierung und hinterließ bei den Zuhörern ein tiefes Gefühl der Ergriffenheit. Insbesondere seien genannt der 4. Satz („Quia apud te“) des Tenors und das Duett im 6. Satz von Sopran und Bass („A custodia matutina“). Mit großer Intensität, ja Intimität kam das Vertrauen auf Gott, der Vergebung und Hoffnung schenkt, zum Ausdruck. Im Gegensatz zu dieser meditativen Atmosphäre stand der Chorsatz „Et ipse redimet“ (Satz 8), wo Chor und Orgel mit mächtigen Akkorden das Zerschlagen der durch kleine Terzen versinnbildlichten Sünden („iniquitates“) ins Bild setzen. Den Schluss bildete das Requiem, das Chor und Solisten vereinigte und in dem der Komponist das Thema des Kyrie wieder aufnimmt, es aber sehr still und verhalten in die Bitte um das ewige Licht einmünden und auf einem einzigen leisen Ton enden lässt.

Ein solches Werk auf der Orgel zu begleiten, ist eine ungeheure Herausforderung, zumal von einer „Begleitung“ im wörtlichen Sinne nicht die Rede sein kann. Der Orgelpart stellt ein eigenes Kunstwerk dar, dem Annette Arnsmeier in bewundernswerter Weise gerecht wurde. Die Orgel war nie aufdringlich, aber immer ein Partner auf Augenhöhe mit sehr differenzierten dynamischen Varianten. So entstand eine sehr transparente Darstellung mit einem eindrucksvollen Wechselspiel von Solisten, Chor und Orgel. Dass alles so gut zusammenspielte war das Verdienst von Gerd Weimar, der als Dirigent souverän und motivierend agierte. Dass er einen so großen Laienchor in die Lage versetzte, so anspruchsvolle Chorwerke in dieser Qualität aufzuführen, ist eine großartige Leistung.

Dass diese Musik in der gut besetzten Abteikirche stattfinden konnte, erfüllte die Interpreten und die Zuhörer mit großer Dankbarkeit. Der Raum war akustisch und atmosphärisch wie geschaffen für diese Musik. Hoffen wir in Zukunft auf weitere so tiefe Erlebnisse!